Wer einen Schaden hat…

Unsere Nachbarn im alten Dorf bauten in den 60er Jahren ein neues Haus. Die beiden Häuser waren durch einen schmalen Winkel getrennt. Im Winkel stand unsere Gasflasche und das Abwasserrohr unseres Waschbeckens aus unserer Küche mündete in die Flusskanne auf der Straße. Es sollte ein modernes Gasthaus werden. Das alte Gebäude wurde abgerissen. Bagger hoben nach dem Abriss eine Baugrube aus. Unser altes Haus stand jetzt alleine da. Es war so ein trostloser Anblick. Das sandige Erdreich unseres Nachbarn wurde mit einem Lastwagen abtransportiert. Rotbrauner Sand war zu sehen. Die Bauarbeiter gruben immer tiefer. Bis an die Grundstücksgrenze unseres Anwesens wurde der Aushub kerzengerade nach unten vorangetrieben. Neugierig blieben die Leute stehen und schauten den Arbeitern zu. An diesem Morgen gingen wir an der Baugrube vorbei in unsere Dorfschule. Wir gingen in die dritte Klasse. Nach dem Zwölfuhrläuten war unser Unterricht vorbei. Auf dem Nachhauseweg standen noch mehr Schaulustige an der Baugrube. Was war so interessantes zu sehen? Ich konnte meinen Augen nicht trauen. Eine komplette Hauswand unserer Bleibe war in die Baugrube gerutscht. Unsere Bettgestelle hingen halb schief nach unten gerichtet in die Grube hinein. Genauso war auch von außen unsere Küche ohne Wand zu sehen. Auf dem Herd dampfte noch das Mittagessen. Wer einen Schaden hat, braucht für den Spott nicht zu sorgen. Eine Frau hob hocherfreut ihre Arme in die Höhe und lachte hämisch über das für sie lustige Debakel. Meine gesamte Familie konnte ihre abrupte Trübsal nicht verbergen. Unsere Oma schaute besonders bekümmert drein. Zwei Wochen vor eurer Feier dieses Theater, sagte sie zu uns Zwillingen. Sie fragte unseren anderen Nachbarn, ob wir in seinem leerstehenden Stübchen unsere Betten aufstellen könnten. Der Nachbar sagte zu und wir zogen für einige Tage bei ihm ein. Nachdem eine Stützmauer hochgezogen war, wurde das Mauerwerk verputzt und wir konnten nach der Trocknung wieder bei uns einziehen. Zwei Jahre später errichteten wir auch ein neues Wohnhaus. Diese Geschichte und der ortsansässige Maurer Wilhelm R. bleibt mir bis heute in guter Erinnerung.




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