Ein Ohr ohne Ohrring.
Im Mittelalter konnte jede Handwerkszunft an seinem Wappen erkannt werden. Deswegen trugen auch Wandergesellen dieses Wappen in ihrem Ohrring. So ein Ohrring war als Erkennungszeichen und als Reservekapital für einen Wandergesellen wichtig. Mancher Geselle besaß nur so einen Ring als Rücklage. Viele Wandergesellen trafen damals diese Form der finanziellen Vorsorge. Ihr Kapital war dadurch fest mit dem Gesellen an seinem Ohr verbunden. Sein wertvoller Besitz konnte so nicht so leicht entwendet werden. Außerdem diente der goldene Ring als eine Art Sterbeversicherung. Mancher Handwerksbursche konnte nur das vorweisen, was er an seinem Leib trug. Seine Kleidung und sein Ohrring waren sein einziges Vermögen. Kost und Logis verdiente er sich bei seinen Handwerksbetrieben. Fand so eine Beschäftigung ein Ende, wanderte er auf der Suche nach einer neuen Arbeit weiter zu einem anderen Handwerksmeister, um sich seinen weiteren Lebensunterhalt zu verdienen. Weil der Ring mit dem Zunftwappen aus Gold hergestellt wurde, konnte beim Ableben seines Trägers sogar seine Beerdigung bezahlt werden. Geriet so ein Wandergeselle in eine Notlage, kam es vor, dass er vor lauter Hunger einen Raub unternahm. Passiert es öfters, so wurde dem Proletarier sein Ohrring ausgerissen. Sein Erkennungszeichen seiner Zunft war jetzt nicht mehr vorhanden. Wo er sich auch um Arbeit bewarb, war er als Halunke ohne Ohrring gebrandmarkt. Überall wurde so ein unehrenhafter Wandergeselle als “Schlitzohr” erkannt. Sein Image war zu Grunde gerichtet. So ein aufgeschlitztes Ohr heilte nur langsam. Dennoch erbarmten sich fromme Leute und ermöglichten ihm ein bescheidenes Auskommen. Im Psalm 147 Vers 3 erfahren wir, wer am besten die zerbrochenen Herzen heilt.

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